«Der Bundesrat will uns für dumm verkaufen» #Energiewende

© Basler Zeitung; 03.11.2014;

Die Physikerin Irene Aegerter wehrt sich gegen die Energiewende, weil sie Irene AegerterUmweltverschmutzung verursache

Von Dominik Feusi, Zürich

Bei den Geleisen am Hauptbahnhof Zürich läuft die zierliche Naturwissenschaftlerin Irene Aegerter zu Hochform auf. «Diese Lok fährt nur, wenn im gleichen Augenblick irgendwo Strom ins Netz gespiesen wird.» Darum funktioniere eben das mit der Energiewende nicht so wie geplant. «Wind und Sonne liefern den Strom nicht, wann wir ihn brauchen.»

Aegerter hat schon in den Achtzigern für die Kernenergie gekämpft, jetzt setzt sie sich wieder dafür ein – und ist für ihre Argumente gefürchtet. SRF wollte eine Diskussion mit Bundesrätin Doris Leuthard arrangieren, was diese kategorisch ablehnte. Aegerter aber hätte sich über ein Streitgespräch mit der Bundesrätin gefreut.

BaZ: Sie haben die letzten fünfzig Jahre Energiepolitik in der Schweiz erlebt. Was bedeutet die Energiestrategie 2050 für die Energieversorgung in der Schweiz?

Irene Aegerter: Ich habe einen solchen Paradigmenwechsel noch nie erlebt. Eine Abkehr von der Kernenergie und die starke Förderung der erneuerbaren Energien wurde immer wieder gefordert, aber hatte in der Bevölkerung nie eine Chance. Nicht einmal nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl.

Was war damals anders als nach dem Unfall in Fukushima?

Nach Tschernobyl konnte man darauf hinweisen, dass es sich um einen vollständig anderen Reaktortyp handelte als im Rest der Welt eingesetzt, der zudem vom Typ her unsicher ist. In Fukushima jedoch stand der gleiche Reaktor wie im bernischen Mühleberg. Er wurde einfach nicht auf den neusten Sicherheitsstandard nachgerüstet. In Mühleberg wäre ein Unfall wie in Japan deshalb so nicht möglich gewesen. Trotzdem hat dieser Unfall bei uns eine Kehrtwende ausgelöst. Plötzlich war alles anders, und zwar schon bevor bekannt war, was in Fukushima genau passiert ist. Die Energiewende basiert nicht auf einer sorgfältigen Analyse der Fakten, sondern auf einem Bauchentscheid.

Die Energiestrategie will drei Dinge: Energieverbrauch drosseln, erneuerbare Energien fördern und Kernkraftwerke abstellen.

Mit den ersten beiden Teilen will man das Dritte ermöglichen. Ich bin überzeugt, dass das nicht aufgehen wird. Richtig ist, dass wir den Verbrauch von fossiler Energie verringern. Dann stossen wir weniger klimaschädliches Kohlendioxid aus und verkleinern unsere Abhängigkeit vom Ausland. Der gleichzeitige Atomausstieg führt aber zu enormen Kosten und Versorgungsproblemen, die nur durch den Bau von neuen, fossilen Kraftwerken gelöst werden können. Und das will ich aus Umweltschutzgründen nicht.

Warum ist das so?

Wind und Sonne sind keine stetig produzierenden Energiequellen. Der Wind bläst, wann er will, und die Sonne scheint bestenfalls die Hälfte des Tages. Damit die Versorgung durchgehend gewährleistet ist, braucht man deshalb Gas- oder Kohlekraftwerke, die sogar auf kleiner Flamme ständig betrieben werden müssen, um sie bei Bedarf schnell hochzufahren. Eine sichere Stromversorgung ist jedoch vor allem für die Industrie unabdingbar. Industrie, Gewerbe und Dienstleistungen verbrauchen nämlich über Zweidrittel des Stroms.

Das lässt sich mit erneuerbaren Energien nicht gewährleisten?

Nein. Es beginnt bei der Geothermie, mit der die Energiestrategie ja hoffnungsvoll plant. Diese Technologie ist bis jetzt ein Traum geblieben. Sie haben das in Basel erlebt. St. Gallen hat ähnliche negative Erfahrungen gemacht. Aber auch die für den Ausstieg nötigen 800 grossen Windkraftanlagen auf den Jurahöhen und in den Bergen sind unrealistisch. Wo will Frau Leuthard diese bauen? Dann bleiben nur noch Solarzellen. Und die speisen ihren Strom nicht ins Hochspannungsnetz ein, sondern ins Niederspannungsnetz, weshalb es riesige Investitionen in Transformatoren und den Ausbau des Verteilnetzes braucht.

Man kann ja den Solarstrom speichern und dann verwenden, wenn man ihn braucht.

Das wäre schön, ist aber ebenso ein ungelöstes Problem. Heute gibt es noch keine kostengünstige Technologie. Batterien sind dafür viel zu teuer. Auch mit grossen Kapazitäten der modernsten Batterien kostet allein die Speicherung rund einen Franken pro Kilowattstunde. Am besten funktionieren Pumpspeicherkraftwerke. Dort wird mit überschüssigem Strom Wasser in einen höher gelegenen Speichersee gepumpt, um es bei Bedarf wieder durch die Turbinen herunterzulassen. Doch diese Werke lohnen sich nicht mehr, Projekte sind auf Eis gelegt, weil Solarstrom prioritär abgenommen werden muss und die Subventionen (KEV) für Solarstrom die Strompreise verzerren.

Mit der kostendeckenden Einspeisevergütung (KEV) kann ich meinen Solarstrom während 25 Jahren zum fixen Preis an ein Elektrizitätswerk verkaufen, egal, was er eigentlich wert ist.

Das ist der Irrsinn der KEV. Ich kenne Leute mit Solarzellen auf dem Dach, die 83 Rappen für jede Kilowattstunde erhalten. Das ist zehnmal mehr, als eine Kilowattstunde Atomstrom kostet. Und bezahlt wird es von allen anderen. Am meisten Energie produzieren die Solarzellen im Sommer über Mittag, wenn es sowieso zu viel Strom gibt. In Deutschland hat die Deutsche Bahn damit begonnen, im Sommer ihre Weichen zu heizen, um überschüssigen Strom zu verbrauchen. Dafür wird sie gut bezahlt! Gleichzeitig müssen die Deutschen Kohlekraftwerke bauen, um die Versorgung sicherzustellen, wenn Sonne und Wind nichts liefern. Sie setzen dabei sogar auf Braunkohle, die für Mensch und Umwelt wohl giftigste Energiequelle, die es gibt.

Lehnen Sie die ganze Energiestrategie ab?

Es gibt durchaus Teile, die ich sinnvoll finde. Es ist richtig, mit der Sanierung von Gebäuden und im Verkehr den Energieverbrauch und die CO2-Emissionen zu senken. Da können wir auch mit verhältnismässig geringen Kosten und einigen Vorschriften etwas erreichen. Das Gebäudeprogramm, das Besitzer von Liegenschaften bei Sanierungen unterstützt, ist richtig, vor allem weil der Besitzer nicht einfach etwas auf 25 Jahre geschenkt bekommt, sondern selber an die Kosten beitragen muss. Wir sollten von fossiler Energie (Gas, Kohle, Öl) weg, um Abhängigkeiten vom Ausland, Umweltgefahren und Gesundheitsrisiken zu verringern. Der Atomausstieg bringt aber mehr davon.

Was bedeutet die Energiestrategie für die Versorgungssicherheit der Haushalte in der Schweiz?

Diese wird bewusst aufs Spiel gesetzt. Ein Geschäftsleitungsmitglied der Bernischen Kraftwerke (BKW) schrieb in der NZZ, «die Kunden können dann Strom beziehen, wenn er verfügbar und preiswert ist». Das ist ein Paradigmenwechsel, der meiner Ansicht nach gegen die Verfassung verstösst, wo die sichere, umweltgerechte, wirtschaftliche Energieversorgung verankert ist. Heute ist Energie jederzeit verfügbar – nicht nur dann, wenn die Elektrizitätswerke gerade Strom liefern können. Auch dies müsste vom Volk genehmigt werden.

Was sind die Folgen der Energiestrategie für die Stromversorgung?

Die Schweiz hat vor allem im Winter ein grosses Problem. Der Bundesrat sagt das ja auch in seiner Botschaft: Man könne nur die Hälfte des Ausfalls der Kernkraft ersetzen, der Rest müsse mit Gaskraftwerken gedeckt oder importiert werden. Wenn wir importieren, dann wäre es Strom aus fossiler Energie: aus deutschen Kohle- oder Gaskraftwerken oder französischen Atomkraftwerken. Ich glaube nicht, dass die Schweizer ein Gaskraftwerk bauen wollen. Doris Leuthard setzt mit der Energiestrategie die sichere Stromversorgung wissentlich aufs Spiel.

Die Befürworter erhoffen sich von intelligenten Stromnetzen (Smart Grids), dass sie den Stromverbrauch steuern können.

Das ist ein Traum, der – wenn er überhaupt funktioniert – sehr teuer wird. Man kann jede Waschmaschine und jeden Kühlschrank und jeden Kochherd mit einem Netzknoten zusammenschliessen. Das kostet Milliarden. Dann kann man Ihnen einfach die Tiefkühltruhe abstellen. Die Privatsphäre ist vollständig dahin. Ein derartiges Netz wäre auch ein enormes Sicherheitsrisiko. Man könnte die Schweiz ganz einfach «ausknipsen».

Warum gab es denn zum Beispiel in Deutschland bis jetzt keine Probleme mit der Versorgung?

Weil dort die acht abgestellten Kernkraftwerke durch Kohlekraftwerke ersetzt wurden. Wer Atomstrom mit Sonne und Wind ersetzen will, bekommt dreckigen Kohlestrom ungefragt dazu. Darum hat Deutschland letztes Jahr mehr Kohlendioxid ausgestossen als je zuvor. Die Schweiz will diesen Irrsinn nun kopieren. Aber niemand, der das befürwortet, darf dann noch den Klimawandel oder die Luftverschmutzung und alle damit verbundenen Folgen beklagen. Auch nicht Bundesrätin Leuthard.

Warum?

Der Bundesrat versucht, die Leute für dumm zu verkaufen. Man fördert die erneuerbaren Energien mit viel Geld und beteuert, wie umweltschonend und zukunftsträchtig das sei. Und wenn die Sonne nicht scheint oder der Wind nicht bläst, braucht man dreckigen Kohlestrom aus dem Ausland. China geht genau den anderen Weg. Dort geht jeden Monat ein neues Atomkraftwerk ans Netz, weil es mit der Luftverschmutzung durch Kohlekraftwerke so nicht weitergehen kann.

Aber Solarenergie ist doch sauber?

Auch da werden die Leute angelogen. Solarzellen produzieren pro Kilowattstunde rund achtmal mehr Kohlendioxid als Kernkraftwerke. Sie werden in China produziert und verschmutzen dort ganze Landstriche. Wer grün leben will, müsste sauber produzierte Fotovoltaikpanels auf sein Dach stellen, aber das rechnet sich nicht. Sauberer als unser heutiger Strommix aus Wasserkraft und Kernenergie geht es gar nicht. Ich verstehe nicht, dass die Grünen das nicht sehen. Es ist nur zu erklären, weil ihnen die Abschaltung der Kernkraftwerke ideologisch wichtiger ist, als es die Umwelt und das Klima sind.

Was kostet die Energiestrategie?

In den gesamten Unterlagen des Bundesrates steht nichts zu den Kosten. Es ist meines Erachtens keine sachliche Politik, eine Energiestrategie zu entwerfen, ohne die Kosten sauber darzulegen. Es gibt zurückhaltende Schätzungen, die höher ausfallen als 100 Milliarden Franken.

Atomkraft ist gar nicht mehr wirtschaftlich zu betreiben. Die Kosten für die Haftpflicht oder die Bewältigung des Abfallproblems sind zu hoch.

Das Problem der Haftpflicht haben Sie bei einer Staumauer auch. Neue Reaktortypen verringern das Risiko. Wenn bei den modernen Reaktoren etwas passieren würde, beschränkt sich das Problem auf die Anlage. Bei einer Kernschmelze muss man heute die Wärme aktiv mit Strom betriebenen Pumpen abführen. Neu reguliert sich der Reaktor in so einem Fall selber. Von mir aus kann man die alten Kernkraftwerke abstellen, aber man muss dann wieder neue bauen. Auch das Abfallproblem lässt sich mit der neusten Generation Kernkraftwerke verringern. Einige Abfallprodukte aus Kernkraftwerken haben lange Halbwertszeiten. Chemische Abfälle der Solarzellenproduktion bleiben ewig giftig, zerfallen gar nicht. (Das Interview als PDF: baz_20141103_0_0_bazab5)

 

6 Gedanken zu “«Der Bundesrat will uns für dumm verkaufen» #Energiewende

  1. Um es gleich zu sagen: Wer CO2 zu einem „Schadstoff“ erklärt, der hat entweder nie eine Schule besucht, oder dort durchgeschlafen. CO2 ist der wichtigste Baustein des Lebens auf diesem Planeten. Das bedeutet im Umkehrschluß, daß, wer gegen CO2 ist, sich gegen das Leben ausspricht. Und dies ist generell allen Sozialisten gemein.

    Den Anhängern der Erderwärmungskirche sei gesagt: Religion ist Privatsache. Es ist gegen die Verfassung gerichtet, diese zum allgemein allein gültigen Glauben im Lande zu machen.

    Die jüngste in Deutschland entwickelte Reaktorgeneration benötigt als Brennstoff genau jenes Material, welches zu hohen Kosten „endgelagert“ werden soll. Rußland hat derweil einen solchen Reaktor probehalber in Betrieb genommen.

    Die ganze Debatte und Theorie um „erneuerbare Energie“ ist für geistig gesund gebliebene Menschen lediglich eine Meßlatte des sich entwickelnden allgemeinen Irrsinns.

    Spätestens nach einem flächendeckenden Stromausfall größerer Infrastrukturballung (z.B. Rhein-Neckarraum) über zwei Wochen (eine genügt schon) und dem folgenden Zusammenbruch der Zivilisation kommt das böse Erwachen. Ich möchte dann möglichst kein „Grüner“ oder „Sozialist“ sein, oder als solcher wiedererkannt werden.

    • Nachtrag CO2:
      Wer von den CO“-Verteuflern ahnt schon, daß Großgärtnereien im Winter sog. CO2-Duschen einsetzen, um es zu ermöglichen, daß pünktlich Ende April/Anf. Mai die Balkon- und Terrassen-Pflanzen für „Naturfreunde“ zur Verfügung stehen?? Und was machen diese „Duschen“? Sie produzieren das ca. fünf(!)fache des normalen Luftbestandteils CO2. Anders ist die Photosynthese nicht in Gang zusetzen und Wachstum zu erzeugen.

  2. Es ist erfreulich, einmal eine Stimme der Vernunft zu vernehmen. In wenigen klar formulierten und leicht verständlichen Worten erläutert Irene Aegerter die Lage der Dinge und die erwünschten und unerwünschten Konsequenzen. Warum zieht der Bundesrat bei seinen Entscheidungen keine Experten bei, die andere Meinungen als der Mainstream vertreten aber eine nachvollziehbare Aurgumentation vorbringen?
    Frau Leuthards Glaube an die unantastbare Weisheit des IPCC und dessen Vertreter, Thomas Stocker, der den Alarmismus schürt, führt uns in eine Sackgasse.

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