Multiple Choice a gogo

andrea_masueger_bearAndrea Masüger

Die Universität Freiburg hat herausgefunden (PDF: BAKOM-Projekt+Journalistenbefragung+2014+-+Endbericht+(version+finale), dass sich die Schweizer Journalistinnen und Journalisten in ihrer Freiheit eingeschränkt fühlen. Schuld daran sei der zunehmende Druck auf die Arbeitsbedingungen. Dies schränke die Freiheit der Berichterstattung ein; es bleibe kaum noch Zeit für vertiefte Recherchen und für die Pflege von Netzwerken, sagen die Forscher.

Dies dürfte nun etwa die zweihundertste wissenschaftliche Arbeit in den letzten Jahren zum Thema Journalismus in der Schweiz sein. Diese Studien befassen sich interessanterweise fast ausschliesslich mit der Arbeitssituation der Medienmacher, die seit Jahren derart desolat zu sein scheint, dass es diesen Beruf wohl kaum mehr lange geben wird. Doch wann erscheint einmal eine Arbeit, die sich dem Phänomen widmet, dass Journalismus enorm en vogue ist, dass dieser Beruf so beliebt ist, wie kaum je zuvor, dass die zahlreichen Ausbildungsinstitute − von den Fachhochschulen übers MAZ bis zur Ringier Journalistenschule − jedes Jahr so viele neu ausgebildete Jungjournalisten ins Erwerbsleben entlassen wie noch nie seit Gründung dieser Ausbildungsstätten? Nimmt man diese Zahlen zur Norm, so geht es dem Journalismus prächtig.

Ja, dem Journalismus geht es so gut, dass sich neben ihm eine eigentliche Parallelindustrie entwickeln konnte: die institutionalisierte Medienwissenschaft. Auch diese produziert eine Unmenge an Studentinnen und Studenten, die in hoher Kadenz Arbeiten aller Art abliefern müssen: Semesterarbeiten, Abschlussarbeiten, Bachelorarbeiten, Masterarbeiten. Dann werden diese beliebten Fragebögen mit Multiple-Choice-Kreuzchen-Friedhöfen herumgemailt («Sie benötigen zur Beantwortung nicht mehr als zehn Minuten»), und schon hat man nach kurzer Auswertung wieder die Basis für eine saftige Medienstudie. Befeuert wird dies alles durch eine rührige Professorenschaft, die nach Kräften darauf konzentriert zu sein scheint, den Untergang der Branche möglichst drastisch aufzuzeigen. Wahrscheinlich, um damit die Notwendigkeit neuer Studien zu untermauern, muss doch ein derart kriselndes System noch viel besser beobachtet werden. Diese Spirale wird zur perfekten Symbiose, wie man sie aus dem Tierreich kennt: Die Medien-Ameisen bedienen die Forscher-Blattläuse fortwährend mit Stoff, und beide scheinen ohne den anderen nicht auszukommen.

Und während sich nun die Exportwirtschaft, die Lebensmittelbranche und der Tourismus angesichts der Euorokrise innert Wochenfrist das Hirn zermartern müssen, wie man richtig auf die neuen Marktgegebenheiten reagieren könnte, leisten sich die Journalistinnen und Journalisten gemäss diesen Studien noch immer das grosse Jammern. Strukturanpassungen waren noch nie ihre Stärke. Einst ging es vom Bleisatz zum Fotosatz. Später setzte das Internet neue Prioritäten. Das waren und sind jahrelange Prozesse.

Die Medienbranche hat das Privileg, relativ lange über den richtigen Weg nachdenken zu können. Und dennoch scheint permanent Krise zu herrschen, jede noch so sanfte Anpassung an den Markt, wie die Einführung eines Newsrooms oder andere konvergente Ansätze, werden gleich zur Götterdämmerung des seriösen Journalismus hochstilisiert.

Aber vielleicht ist das auch übertrieben. Vielleicht müsste man nur mal die Fragestellungen dieser Studien ändern …

*Andrea Masüger ist CEO der Somedia (vormals Südostschweiz Medien).

3 Gedanken zu “Multiple Choice a gogo

  1. Über Berufsaussichten von Journalisten kann man geteilter Meinung sein. Die Presse jedenfalls, wird zunehmend qualitätsfreier. Obwohl, da gibt es Unterschiede. Die BaZ verfolge ich regelmäßig im Vergleich zu vier bedeutenden Blättern in D. Das ergibt ein deutlich besseres Berichtsbild als die in D. Noch.

    Die deutsche Presse insgesamt befindet sich im freien Fall, was die Verkaufszahlen angeht. Für die Bezeichnung „Lügenpresse“ haben sich sog. Journalisten nach Kräften verdient gemacht: Hervorragend im Abschreiben von dpa.

    Keine saubere Recherche, Verlautbarungsblatt, kein kritisches Hinterfragen mehr, Mischung von Bericht und Kommentar, manipulierende Wortwahl, Verschweigen von unangenehmen Tatsachen zugunsten der politischen Korrektheit.

    Diese Merkmale haben das Ansehen von Journalismus nachhaltig untergraben. Mein Abo der FAZ endete bereits 2009 nach 40-jähriger Morgenlektüre. In den letzten Jahren ist dieses Produkt im Sozialistensumpf abgesoffen.

    Am Beispiel der Franken-Freigabe und mit dem Blick auf das Wort Export kann man derzeit nachvollziehen, wie ungeprüft Journalisten Klagen der Exporteure entgegennehmen und wiedergeben. Nirgendwo konnte man lesen, daß die Geschichte zwei Seiten hat: Derzeitige VK-Preise und die gigantische Einsparung beim Import. Nirgendwo habe ich lesen können, daß schlagartig alle Rohstoffe, Vorprodukte, Energie, usw. billiger geworden sind. Ein Kaufmann hätte den Unbedarften erklären können, daß lediglich eine Neukalkulation vonnöten war/ist. Dies alles in einer Volkswirtschaft eines Landes, daß im Verhältnis eines der größten Importeure ist!

    Niemand scheint sich erinnern zu können/wollen, daß in den 90’er Jahren für 1,- SF 1,30 DM hingeblättert wurde. Oder??? Wenn ich noch an die damalige Verelendung der CH mitsamt ihrem Tourismus denke, wird mir ganz übel.

    Presse? Zum Abgewöhnen, wenn nicht Schlimmerem.

  2. Etwas andere Kritik lese ich immer wieder gerne, ob ich, wie hier, dem Beitrag Beifall zolle oder ein andermal vielleicht anderer Meinung bin. Geprägt von einer eher bürgerlichen Grundhaltung herrscht eine saubere übrigens immer antotalitäre Linie vor und wird über wirklich Wichtiges diskutiert.

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